© 2019 Anton Bo Matzke

Rehkitzkuhlen (in progress)

2021/22

Lehm, T-7 Kotflügel


Auf dem Boden im Innenraum liegend würden 5-6 flache scheibenförmige erdfarbene Objekte zu sehen sein. Deren Oberflächen weisen Auswölbungen in der Höhe und Bestandteile von Gras/Heu, verschiedener Erden und Steinen auf. Bei genauerer Betrachtung lassen sich im Heu und den Ausprägungen gewisse Strukturen und Formen ausmachen.

Bei diesen Objekten handelt es sich um positive Lehm-Abgüsse von Rehkitzkuhlen in Ackergrasfeldern und Wiesen. Sie wurden nach dem ersten Grünlandschnitt dieser landwirtschaftlichen Flächen im Frühjahr genommen. Jene kulturellen Vegetationsorte sind häufig behutsame Rückzugsorte von Wildtieren. Dort schaffen die Tiere, meist kurz hinter der Kuppe von kleinen Anhöhen, im Gras Kuhlen für ihre Jungen, bevor diese lauffähig sind. Auf den Abgüssen dieser intimen und berührenden Orte lassen sich bei genauerem Hinschauen in den Abdruck-Strukturen vom Gras und den Tiefenausprägungen der Kuhlen Körperformen der Tiere erahnen.

An der Wand hinter den Lehm-Abgüssen hängt in Bezug dazu ein blaues, rund geschwungenes ca. 2 m breites Objekt. Es lässt sich eventuell als ein gebrauchtes Maschinenschutzteil einer Karosserie ausmachen. Hierbei handelt sich um einen Kotflügel der T7 Traktorenreihe der Marke New Holland in seinem klassischen Werksblau. „Die Blauen“ sind aufgrund ihres unteren Preissegmentes weit verbreitet. Der Kotflügel ist in seiner originär funktionalen Höhe angebracht.

Diese nicht direkt einordenbaren Objekte entfalten mit diesem Wissen dann vielschichtige Geschichten zu diesen Orten. So nehmen sie gleichzeitig auch Bezug zu einer zeitgenössischen landwirtschaftlichen Praxis, in der ein hoher Kosten- und Effizienzdruck herrscht. Bei dem Grasschnitt zur Silage als Kraft- und Winterfutter für Milch- und Fleischkühe geraten häufig frischgeborene Rehkitze, die sich bei Gefahr anstatt zu flüchten an den Boden in ihre Kuhlen drücken, in die Mähwerke. Die Grünlandflächen müssen aus Gründen der Rentabilität mit großen Arbeitsbreiten, GPS-gesteuert und mit Geschwindigkeiten von ca. 15 km/h bearbeitet werden. So sind diese Zwischenfälle auch ein Produkt politisch-ökonomischer Gegebenheiten. Auch verschiedene Herangehensweisen an die Mahd, Detektoren oder vorheriges Absuchen der Flächen mit Drohnen, was aufgrund hoher Personalkosten und technischer Probleme nicht effizient war, konnten dies bislang nicht nennenswert verhindern. Andererseits wird zur besseren Aufforstung der durch den Menschen aus dem Gleichgewicht gebrachten Flora und Fauna der Wälder wiederum erwachsenes Rehwild gejagt.

Ein fragiles Geflecht.

Der Künstler, der selber im Ackerbau arbeitet, nahm diese Abgüsse auf einem von ihm bearbeiteten ökologischen Ackergras-Schlag in Brandenburg. Im Frühjahr sollen die weiteren 5 Abgüsse genommen werden.